Archiv für den Tag: 13. September 2012

Fujigotemba – Kirin-Whisky

Ein Bus bringt uns im Uhrzeigensinn um den Fuji-San herum nach Fujigotemba, wo sich die Destille gleichen Namens – inzwischen aufgekauft von dem japanischen Getränkegiganten Kirin – befindet. Es handelt sich, anders als im Falle der romantischen Variante in Yoichi, um ein modernes Fabrikgelände, in dem halt nebenbei ein, zwei solide Whiskys produziert werden. Ansonsten wird abgefüllt was das Zeug hält, und zwar Massenware. Die Theorie von Stefan ist, dass an einigen wenigen Tagen im Jahr die qualitativ hochwertigeren Erzeugnisse durch die Adern der riesigen Anlage fließen. Wir fühlen uns wie Borsig-Arbeiter, als wir das Gelände betreten.

Empfangen werden wir von jungen Damen in Trikots der japanischen Fußball-Nationalmannschaft, die von Kirin gesponsert wird. Wie im wohlorganisierten Japan üblich besorgt man uns schnell eine des Englischen mächtige Person – wieder im Trikot. Wir müssen ein Dokument unterzeichnen, erhalten einen Plan jenes Teils der Anlage, der von Besuchern betreten werden darf, und beginnen unsere Wanderung.

Kirin zeigt sehr offen jeden Schritt der Produktion, zuweilen darf man lediglich nicht fotografieren (siehe Fotos unten). Tatsächlich hat uns diese Offenheit angenehm überrascht und durchaus berührt. Einige der Arbeitsplätze wirken nicht sehr attraktiv (ebenfalls: Fotos). Wir wurden Zeugen der Abfüllung eines amerikanischen in Lizenz hergestellten Bourbon, des „Four Roses“.

Die Energie der Gänge ist die eines etwas älteren Krankenhauses, dennoch sind die Informationen nicht schlecht aufbereitet. Und letztendlich lieben wir das Skurrile.

Am Ende des Rundgangs kommt es endlich zum Tasting. Wir betreten einen großen Raum, in dem sich bereits eine japanische Reisegruppe niedergelassen hat. Wir werden herzlich in Empfang genommen, diesmal von einer Japanerin, die wirklich gut Englisch spricht (auf Nachfrage erklärt sie, lange in Australien gelebt zu haben). Auch sie trägt das Trikot der japanischen Fußballnationalmannschaft.

Wir dürfen uns setzen und werden angewiesen, in maximal 20 Minuten den Raum zu verlassen. Wir dürfen kostenlos von den beiden Billigwhiskys, die wir uns aus Fässern selbst entnehmen sollen, probieren, und von einigen anderen Kirin-Produkten (zum Beispiel der gar nicht so üblen Litschi-Salz-Limonade – es gibt einiges in Japan, das es bei uns nicht gibt). Wir fragen, ob der Grund für die 20-Minuten-Grenze die Verhinderung von Besäufnissen sei, was unsere Betreuerin lächelnd bestätigt. Nach kurzer Verhandlung stockt sie auf 25 Minuten auf, weil wir auch noch die wenigen guten Whiskys – kostenpflichtig – verkosten möchten.

Auch das bessere der beiden Gratis-Fässer genügt nicht unseren Ansprüchen. Wir entscheiden uns für die Transformation in einen Longdrink, den uns unsere Betreuerin mixt, was sehr nett ist, aber keine kulinarischen Höhen erklimmt. Dennoch fühlen wir uns wohl, weil die Fürsorge und der Stil der Dame einen angenehmen Rahmen schaffen.

Stefan bestellt schließlich an der Theke zwei der ernsteren Produkte der Destille, einen 15jähringen Grain-Whisky und einen 18jährigen Single Malt. Der Grain ist eine gelungene Angelegenheit, der Single Malt für einen 18 Jahre Alten durchaus, na ja, ganz ok.

Nachdem die 25 Minuten vorbei sind, machen wir uns zum Gehen bereit, und die gesamte (komplett weibliche) Belegschaft verabschiedet uns auf japanischst denkbare, würdevolle Weise. Im Gaumen bleiben der Grain und die Salz-Litschi-Limonade.

Fujigotemba – grüner Tee bei den Damen

In Fujigotemba entdecken wir einen kleinen Teeladen in einer unbedeutenden Nebenstraße. Dort werden wir von zwei reizenden Damen – die eine etwas älter, die andere etwas jünger – recht herzlich begrüßt. Die Schnittmenge unserer sprachlichen Möglichkeiten ist wie so oft null, also sind Mimik und Gestik die Rohstoffe unserer Kommunikation. Alle vier haben wir unseren interkulturellen Spaß. In Japan geschieht es oft, dass man uns eindringlich auf Japanisch etwas klarzumachen versucht und auf unsere verständnislosen Mienen mit überdeutlicher Artikulation und einfacher Sprache mit zahlreichen Wiederholungen reagiert. Nutzen tut es freilich nichts. Wieder bekommen wir eingeschenkt, diesmal einen einfachen kalten Bancha. Nett.

Ich versuche, die Angelegenheit auf ein neues Level zu heben, indem ich, ähnlich einer venezianischen Taube, „Gyukuro, Gyukuro?“ gurre. Da nicken die beiden, wir alle freuen uns; die ältere Dame geht zum Kühlschrank (so soll es sein, Gyokuro muss gekühlt gelagert werden) und holt ein 50- und ein 100 g-Päckchen heraus. Ohne Details zu Herkunft und Alter in Erfahrung bringen zu können, erkläre ich meine Kaufbereitschaft: 50 Gramm genügen. Ein Einsatz von 1.600 Yen ist vertretbar, der Genuss kann potenziell transzendent sein (jedenfalls wenn der kostbaren Stoff den Transport in die ferne Heimat unbeschadet übersteht).

Neues über die japanische Teekultur im Sinne darstellbarer Fakten haben wir nicht erfahren – egal. Am Ende bekommt jeder von uns noch zwei Grüntee-Bonbons mit einem Mount Fuji-Motiv drauf geschenkt (dieses ist im Umkreis von 100 Kilometern auf fast jeder Tasse, jeder Postkarte, jeder Packung Reiskuchen, jeder Eintrittskarte und jeder Tüte Zucker zu finden), und wir verlassen den handlichen kleinen Laden in dem Bewusstsein, dass ein paar herzliche Augenblicke die Distanz zwischen den Völkern schrumpfen lassen kann wie eine achtsam getrunkene Tasse Gyukuro den Stress des modernen Alltags.

Zum Anschluss erfahren wir noch, dass die jüngere der beiden als kleines Kind einmal zu Besuch in „Brn? Brlino? Berolino? Aha! Berlin!“ war, wie wir gemeinsam entschlüsseln. Es gelingt uns noch auszudrücken, dass es sich dabei um unsere Heimatstadt handelt, dann sind wir alle ein wenig erschöpft, aber glücklich, und verabschieden uns in unsere jeweiligen disjunkten Lebenswelten.