Archiv für den Monat: September 2012

Suntory Destille in Hakushu (sprich: „Hakshu“)

Ein Regionalzug bringt uns vom Mt. Fuji nach Kobuchizawa. Eine schöne Gegend. Berge, viel Wald, wenig Häuser. Die Zimmersuche ist diesmal etwas mühsam. Trotz viel Tourismus scheinen zunächst alle Übernachtungsmöglichkeiten geschlossen – die Saison ist vorbei, wie ein hilfsbereiter Reisender aus Tokyo erklärt. Letztlich wird es unsere einzige Nacht in einer Jugendherberge. Ganz o.k., wenn auch zum Preis eines Hotels. Die ganze Region scheint die eigene Kultur vergessen oder verdrängt zu haben. Hier gibt es eine Ranch neben der anderen – echte japanische Cowboys können sich an diesem Ort in den Sattel schwingen. In einem mexikanisch gestylten Restaurant gibt es für mich Spagetti Carbonara zum Abendessen. Olafs kritischer Gesichtsausdruck verfliegt, nachdem er eine nicht unwesentliche Menge probiert hat. Der Koch hat es drauf.

Wie kommen wir bloß zu der etwas abgelegenen Destille nach Hakushu? Hier zeigt sich das nahezu perfekt organisierte Japan wieder von seiner freundlichen Seite. Ein kostenloser Busshuttle transportiert den interessierten Besucher vom Bahnhof direkt in die Destille. Neben dem Busfahrer ist eine Art Bodenstewardess an Bord und unterhält die Fahrgäste mit allerhand Anweisungen und Ankündigungen, die wir leider nicht verstehen. Am Eingang der Destille geht es weiter wie gewohnt: Formular ausfüllen, Audioguide entgegennehmen, Frage nach einem mitgebrachten KFZ verneinen. Ein freundliches „ja“ wäre folgenreich: dann ist eine gut sichtbare Bescheinigung um den Hals zu tragen, die es jedem Destillenmitarbeiter verbietet, dieser Person Alkohol auszuschenken. Ein weiteres Stigma dieser Art gibt es für Menschen unter 20 Jahren. Die müssen auch trocken bleiben. Wir haben aber niemanden mit beiden Anhängern zugleich gesehen.

Hakushu ist eine große Destille. Besuchergruppen mit 30-40 Teilnehmern werden im Halbstundentakt durch die gewaltigen Anlagen geführt. Alles wird offen gezeigt, die Still Pots sind in Betrieb, und durch die kleinen Schaufenster sehen wir die Flammen, die aus dem Maischebrei Hochprozentiges werden lassen. Das Lager mit Tausenden von Fässern ist ein paar hundert Meter entfernt, ein Bus steht bereit und bringt die Destillentouristen auch dorthin. Zum Schluss eine Kostprobe des Produktes in einem speisesaalähnlichen Raum. 2 Whiskys, Wasser, Saft, Kekse und ein Stück Schokolade für alle. Wer immer das Buch „Japan umsonst“ schreiben wird, Destillenbesuche sollten ein eigenes Kapitel bekommen.

Mit diesem lauen Minitasting sind wir natürlich nicht zufrieden und begeben uns zur Bar des Hauses. Geordnet und konzentriert verkosten wir 10 verschiedene Tropfen. Alleine 5 Whiskys, die später mit 25 anderen zum „Hibiki 17“ verrührt werden, 3 Single Casks und jeweils das Spitzenprodukt des Hauses, den 25-jährigen Hakushu Single Malt und den gleichaltrigen Yamazaki (beide Destillen gehören zu Suntory). Im Urteil sind sich beide Laienverkoster dann recht einig: alles im guten Mittelfeld, die beiden 25-jährigen ganz lecker. Letztere sehen wir erst beim Abflug im Duty Free wieder – für 750.- Euro die Flasche. Wir haben nicht gekauft.

Nach der Verkostung folgt ein schneller Besuch im großen und liebevoll gestalteten Whiskymuseum der Anlage und ein Essen im eigenen Restaurant. Dieselbe Bushostess begleitete uns wieder zum Bahnhof. Zufrieden fallen wir in die Sitze der Japan Railways. Ein „Bullet Train“ (Shinkansen) befördertert uns dann fast mit Schallgeschwindigkeit in die alte Hauptstadt des Reiches, nach Kyoto.

Ein Bourbon im Wilden Westen des japanischen Voralpenlands

Diese kleinen Blogreportagen mögen amüsant klingen, tatsächlich ist unsere Reise aber recht anstrengend – ständig neue Orte, Unterkünfte finden, viel Reiserei, viele Whiskys verkosten -, und auch diese Zeilen schreibe ich schon wieder an einem neuen Ort: wir sind in Kyōto angekommen, der touristischsten Stadt Japans (und bestimmt handelt es sich um eine der schönsten Städte der Welt).

Kyōto ist praktisch ausgebucht. Wir trafen andere Touristen, die uns erklärten, an diesem speziellen Wochenende (Montag ist Feiertag) sei in ganz Japan kaum noch ein Zimmer zu finden (allenfalls in China gebe es noch einige Übernachtungsmöglichkeiten). Wie es so unsere Art ist, haben wir vorher nicht reserviert. Unser Zimmer fanden wir dann wie immer durch Zufall, einen Zufall jener Art allerdings, auf die man sich immer verlassen kann. Ein italienisches Pärchen, das uns im Foyer eines ausgebuchten Hotels angesprochen hatte, hatte dasselbe Problem wie wir, es im Gegensatz zu uns aber gelöst, und so befinden wir uns nun in einem kleinen Ryokan, der von einer Mutter und – vermutlich – ihrer Tochter betrieben wird. Die beiden sind wahre Spaßvögel. Im Hauptraum steht ein Kawai-Flügel (angesichts der beschränkten Räumlichkeiten fragt man sich, ob es nicht auch ein E-Piano getan hätte), und die Mutter assoziiert Deutschland mit Beethoven, Bach und Brahms. Aber ich schweife ab. Eigentlich handelt es sich hierbei nämlich um einen Nachtrag. Oder um zwei.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag, die Nacht und den Vormittag in Kobuchizawa, einem schrägen Nest in den Ausläufern der japanischen Alpen. Grund für unseren Aufenthalt war die Existenz einer whiskyproduzierenden Anlage, der einflussreichen, unter der Flagge der großen Firma Suntory fahrenden, von Wald umgebenen Destille Hakushu.

Kobuchizawa ist etwas höher gelegen und leidet deswegen nicht so unter der drückenden Hitze wie etwa Kyōto. Weil der Tourismus hauptsächlich während der Schulferien brummt, haben bereits im September die meisten Unterkünfte geschlossen. Zwei Stunden lang klappern wir, von freundlichen Japanern erfolglos unterstützt, die Gegend ab, bis wir schließlich einem Hinweis folgen und es – Erinnerungen werden wach – in der Jugendherberge des Ortes versuchen, die dann noch Plätze im Männerschlafsaal frei hat. Japan ist das Land der Superlativen und lässt sich auch bei Preisen für Jugendherbergsübernachtungen nicht lumpen: 38 Euro kostet das Bett pro Nase und Nacht im Dormitory, und selbst beziehen muss man es auch noch (alles wie früher – schön, auf seine Art). Außer uns ist nur noch ein fröhlicher pensionierter Japaner im Zimmer, ein Wandersmann, der durch sein Land tourt.

Nach dem Dinner betreten wir die Lamps Lodge Bar, deren einzige Gäste wir den ganzen Abend sind, und darüber hinaus auch die ersten Deutschen, die jemals ihre Füße über die Schwelle dieses eigentlich in den Süden der USA gehörenden Etablissements gesetzt haben. Es handelt sich nicht um eine Whiskybar, unser Besuch ist aber aus einem anderen Grund bemerkenswert (siehe unten). Der Inhaber und Barmann Tsutomu Kobayashi hat sie – passend zum Ort, in dem nicht wenige  japanische Cowgirls auf der Koppel bei ihren Pferden stehen – als eine Art Country-Bar eingerichtet, mit allem was zum Wilden Westen dazugehört. An den Wänden hängen Cowboyhüte; Banjo, Gitarre und Piano stehen spielbereit herum, die Helden der Country-Music (allerdings auch einige des Jazz und anderer entfernterer Verwandter – Hauptsache US-amerikanisch) zeigen Gesicht. Tsutomu Kobayashi liebt James Taylor, Johnny Cash, James Brown, aber auch Tom Waits hängt an der Wand, und Led Zeppelin erklingt. Die Whisky-Auswahl ist absoluter Standard – hier ist nichts zu entdecken. Interessanter – und kurioser, denn immerhin befinden wir uns in der japanischen Pampa – ist hingegen die Sammlung an Bourbons. Stefan ist in diesem Terrain kein Kenner, und ich sowieso nicht. Was wir aber finden ist eine Reihe alter amerikanischer (teilweise für Japan lizensierter) Flaschen, in einem Retro-Look, der uns die Relativität von Raum und Zeit (und deren seltsames Verhältnis) erneut klar macht. Der Abend wird ein netter. Wir unterhalten uns den ganzen Abend über diese und jene Dinge und verkosten Reliquien einer Vergangenheit, die nie existiert hat.

Fujigotemba – Kirin-Whisky

Ein Bus bringt uns im Uhrzeigensinn um den Fuji-San herum nach Fujigotemba, wo sich die Destille gleichen Namens – inzwischen aufgekauft von dem japanischen Getränkegiganten Kirin – befindet. Es handelt sich, anders als im Falle der romantischen Variante in Yoichi, um ein modernes Fabrikgelände, in dem halt nebenbei ein, zwei solide Whiskys produziert werden. Ansonsten wird abgefüllt was das Zeug hält, und zwar Massenware. Die Theorie von Stefan ist, dass an einigen wenigen Tagen im Jahr die qualitativ hochwertigeren Erzeugnisse durch die Adern der riesigen Anlage fließen. Wir fühlen uns wie Borsig-Arbeiter, als wir das Gelände betreten.

Empfangen werden wir von jungen Damen in Trikots der japanischen Fußball-Nationalmannschaft, die von Kirin gesponsert wird. Wie im wohlorganisierten Japan üblich besorgt man uns schnell eine des Englischen mächtige Person – wieder im Trikot. Wir müssen ein Dokument unterzeichnen, erhalten einen Plan jenes Teils der Anlage, der von Besuchern betreten werden darf, und beginnen unsere Wanderung.

Kirin zeigt sehr offen jeden Schritt der Produktion, zuweilen darf man lediglich nicht fotografieren (siehe Fotos unten). Tatsächlich hat uns diese Offenheit angenehm überrascht und durchaus berührt. Einige der Arbeitsplätze wirken nicht sehr attraktiv (ebenfalls: Fotos). Wir wurden Zeugen der Abfüllung eines amerikanischen in Lizenz hergestellten Bourbon, des „Four Roses“.

Die Energie der Gänge ist die eines etwas älteren Krankenhauses, dennoch sind die Informationen nicht schlecht aufbereitet. Und letztendlich lieben wir das Skurrile.

Am Ende des Rundgangs kommt es endlich zum Tasting. Wir betreten einen großen Raum, in dem sich bereits eine japanische Reisegruppe niedergelassen hat. Wir werden herzlich in Empfang genommen, diesmal von einer Japanerin, die wirklich gut Englisch spricht (auf Nachfrage erklärt sie, lange in Australien gelebt zu haben). Auch sie trägt das Trikot der japanischen Fußballnationalmannschaft.

Wir dürfen uns setzen und werden angewiesen, in maximal 20 Minuten den Raum zu verlassen. Wir dürfen kostenlos von den beiden Billigwhiskys, die wir uns aus Fässern selbst entnehmen sollen, probieren, und von einigen anderen Kirin-Produkten (zum Beispiel der gar nicht so üblen Litschi-Salz-Limonade – es gibt einiges in Japan, das es bei uns nicht gibt). Wir fragen, ob der Grund für die 20-Minuten-Grenze die Verhinderung von Besäufnissen sei, was unsere Betreuerin lächelnd bestätigt. Nach kurzer Verhandlung stockt sie auf 25 Minuten auf, weil wir auch noch die wenigen guten Whiskys – kostenpflichtig – verkosten möchten.

Auch das bessere der beiden Gratis-Fässer genügt nicht unseren Ansprüchen. Wir entscheiden uns für die Transformation in einen Longdrink, den uns unsere Betreuerin mixt, was sehr nett ist, aber keine kulinarischen Höhen erklimmt. Dennoch fühlen wir uns wohl, weil die Fürsorge und der Stil der Dame einen angenehmen Rahmen schaffen.

Stefan bestellt schließlich an der Theke zwei der ernsteren Produkte der Destille, einen 15jähringen Grain-Whisky und einen 18jährigen Single Malt. Der Grain ist eine gelungene Angelegenheit, der Single Malt für einen 18 Jahre Alten durchaus, na ja, ganz ok.

Nachdem die 25 Minuten vorbei sind, machen wir uns zum Gehen bereit, und die gesamte (komplett weibliche) Belegschaft verabschiedet uns auf japanischst denkbare, würdevolle Weise. Im Gaumen bleiben der Grain und die Salz-Litschi-Limonade.

Fujigotemba – grüner Tee bei den Damen

In Fujigotemba entdecken wir einen kleinen Teeladen in einer unbedeutenden Nebenstraße. Dort werden wir von zwei reizenden Damen – die eine etwas älter, die andere etwas jünger – recht herzlich begrüßt. Die Schnittmenge unserer sprachlichen Möglichkeiten ist wie so oft null, also sind Mimik und Gestik die Rohstoffe unserer Kommunikation. Alle vier haben wir unseren interkulturellen Spaß. In Japan geschieht es oft, dass man uns eindringlich auf Japanisch etwas klarzumachen versucht und auf unsere verständnislosen Mienen mit überdeutlicher Artikulation und einfacher Sprache mit zahlreichen Wiederholungen reagiert. Nutzen tut es freilich nichts. Wieder bekommen wir eingeschenkt, diesmal einen einfachen kalten Bancha. Nett.

Ich versuche, die Angelegenheit auf ein neues Level zu heben, indem ich, ähnlich einer venezianischen Taube, „Gyukuro, Gyukuro?“ gurre. Da nicken die beiden, wir alle freuen uns; die ältere Dame geht zum Kühlschrank (so soll es sein, Gyokuro muss gekühlt gelagert werden) und holt ein 50- und ein 100 g-Päckchen heraus. Ohne Details zu Herkunft und Alter in Erfahrung bringen zu können, erkläre ich meine Kaufbereitschaft: 50 Gramm genügen. Ein Einsatz von 1.600 Yen ist vertretbar, der Genuss kann potenziell transzendent sein (jedenfalls wenn der kostbaren Stoff den Transport in die ferne Heimat unbeschadet übersteht).

Neues über die japanische Teekultur im Sinne darstellbarer Fakten haben wir nicht erfahren – egal. Am Ende bekommt jeder von uns noch zwei Grüntee-Bonbons mit einem Mount Fuji-Motiv drauf geschenkt (dieses ist im Umkreis von 100 Kilometern auf fast jeder Tasse, jeder Postkarte, jeder Packung Reiskuchen, jeder Eintrittskarte und jeder Tüte Zucker zu finden), und wir verlassen den handlichen kleinen Laden in dem Bewusstsein, dass ein paar herzliche Augenblicke die Distanz zwischen den Völkern schrumpfen lassen kann wie eine achtsam getrunkene Tasse Gyukuro den Stress des modernen Alltags.

Zum Anschluss erfahren wir noch, dass die jüngere der beiden als kleines Kind einmal zu Besuch in „Brn? Brlino? Berolino? Aha! Berlin!“ war, wie wir gemeinsam entschlüsseln. Es gelingt uns noch auszudrücken, dass es sich dabei um unsere Heimatstadt handelt, dann sind wir alle ein wenig erschöpft, aber glücklich, und verabschieden uns in unsere jeweiligen disjunkten Lebenswelten.

Grüner Tee im Harukiya-Shop in Fujiyoshida am Fuße des Fuji-San

Die freundlichen, lustigen, etwas albernen Damen der Tourist Information an der Mt. Fuji Train Station am Fuße des Fujiyama in der kleinen Stadt Fujiyoshida zeichnen uns den Weg zum nächsten Teeshop namens Harukiya auf (es handelt sich eigentlich um eine der Filialen der Harukiya Ltd.). Wir suchen ihn und finden ihn und werden dort von einer ausgezeichnet Englisch sprechenden Verkäuferin empfangen. Die grünen Tees, die das Geschäft neben Teeutensilien, Kaffee und etwas Tinnef hauptsächlich führt, stammen weitgehend aus der Nachbarpräfektur Shizuoka, einige andere von der südlichsten japanischen Insel Kyushu. Seit dem Disaster in Fukushima sei die Nachfrage nach Tees aus weiter entfernt liegenden Gegenden gestiegen, und die Produzenten auf Honshū hätten das Nachsehen. Shizuoka bleibt aber nach wie vor das wichtigste Anbaugebiet Japans.

Madame T (wir hätten nach ihrem Namen fragen sollen, nur irgendwie war das Gespräch zwar sehr nett, aber nicht allzu verbindend) gießt noch einmal auf was sie gerade selbst trinkt und schenkt uns ein. Nicht schlecht, aber auch keine Offenbarung. Ich erkläre, dass ich großer Fan dieses edlen Getränks sei und ein bis zwei Liter am Tag konsumiere. Worauf sie erwidert, in Japan trinke man guten grünen Tee eher in kleinen Mengen zur gesitteten Entspannung. „Ich auch, ich auch“, versichere ich schnell, „die einfacheren Tees zur Arbeit oder zum Essen, die richtig guten in abendlicher meditativer Laune.“

Wir fragen höflich, ob es möglich sei, direkt zu den Highlights überzugehen und was diese seien. Gyukuro, den feinsten aller Grüntees, habe sie nicht auf Lager, sie schlägt aber eine Alternative vor: einen Sencha aus Shizuoka, den sie mit den Worten „mal sehn ob ich ihn gut hinkriege“ zuzubereiten beginnt. Sie wirkt nicht wie eine absolut routinierte Profi-Teeistin und steht dazu.

Der kleine Shop ist gut besucht, immer wieder kommen Besucher herein, bekommen eine Tasse Tee eingeschenkt, kaufen etwas oder auch nicht, verbeugen sich, nicken uns freundlich zu oder auch nicht und verhalten sich insgesamt ziemlich japanisch. Wir probieren den Tee, den sie weniger als eine Minute bei 60 Grad ziehen lässt (ihre Faustformel: „je besser der Tee desto kälter das Wasser, aber meistens 60 Grad“ bestätige ich nicht vollen Herzens, aber die Tendenz ist ok). Und ich bin begeistert: er ist recht mild, dennoch tief, ausgeglichen, hat Seele. Ich kaufe (2.100 Yen für 100 g).

Ob es spezielle Bedingungen gebe, um diesen flüssigen Smaragd so hinzubekommen, frage ich. Noch während ich nach der Herkunft des Wassers frage, dämmert mir, dass wir uns ganz nah am Fuji befinden, und sie bestätigt die Qualität des Gebirgswassers, das wohl kaum von jenem aus importierten Plastikflaschen übertroffen werden dürfte.

Inzwischen passiert draußen – das Geschäft befindet sich an einer Kreuzung – ein Unfall. Ein japanischer Kleinwagen mit zwei älteren Frauen rammt einen japanischen Kleinwagen mit einer jungen Frau, es gibt einen beachtlichen Knall. Eine der Parteien hat offenbar die rote Ampel ignoriert (vielleicht weil die Fahrerin uns im Laden gesehen hat), die andere konnte nicht ausweichen. Wir rennen hinaus, stellen fest dass das getroffene Auto fahrerseitig konkav gedellt, die junge Fahrerin aber unverletzt ist und auch nicht den Eindruck macht als würde sie posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln. Sie schafft es noch, auf den Parkplatz neben dem Teeshop zu parken. Die ältere Fahrerin hat angehalten und läuft bleich (noch bleicher als es ihr genetisches Erbe ohnehin von ihr verlangt) auf das lädierte Gefährt zu. Die Angelegenheit schwenkt endgültig in einen ordnungsgemäßen Ablauf ein, als die Polizei kommt.

„Die jungen Leute von heute trinken nicht mehr so viel grünen Tee“, erklärt die Verkäuferin. „Eher Cola“, äußere ich meine internationale Beobachtung, und sie nickt. Wir lassen uns den nächsten Tee empfehlen, einen der Importe aus Kyushu. Mit 1.300 Yen günstiger als der andere, nicht ganz so erhaben, aber ebenfalls sehr lecker. Und ebenfalls: gekauft.

Wieder kommen Kunden und gehen, draußen brechen die Wolken auf und ergießen ihre Wassermassen als gäbe es kein Morgen. Wir reden noch ein bisschen über Erzeugungs- und Zubereitungsmethoden, ich lasse mir noch ihren persönlichen Alltagslieblingstee empfehlen (ein Sencha aus Shizuoka für 700 Yen pro 100 g), den wir aber nicht mehr probieren, sondern, alle guten Dinge drei sein lassend, ebenfalls kaufen. Stefan erwirbt noch eine hübsche Dose Matcha, und wir sagen Sayonara.