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Ein Bourbon im Wilden Westen des japanischen Voralpenlands

Diese kleinen Blogreportagen mögen amüsant klingen, tatsächlich ist unsere Reise aber recht anstrengend – ständig neue Orte, Unterkünfte finden, viel Reiserei, viele Whiskys verkosten -, und auch diese Zeilen schreibe ich schon wieder an einem neuen Ort: wir sind in Kyōto angekommen, der touristischsten Stadt Japans (und bestimmt handelt es sich um eine der schönsten Städte der Welt).

Kyōto ist praktisch ausgebucht. Wir trafen andere Touristen, die uns erklärten, an diesem speziellen Wochenende (Montag ist Feiertag) sei in ganz Japan kaum noch ein Zimmer zu finden (allenfalls in China gebe es noch einige Übernachtungsmöglichkeiten). Wie es so unsere Art ist, haben wir vorher nicht reserviert. Unser Zimmer fanden wir dann wie immer durch Zufall, einen Zufall jener Art allerdings, auf die man sich immer verlassen kann. Ein italienisches Pärchen, das uns im Foyer eines ausgebuchten Hotels angesprochen hatte, hatte dasselbe Problem wie wir, es im Gegensatz zu uns aber gelöst, und so befinden wir uns nun in einem kleinen Ryokan, der von einer Mutter und – vermutlich – ihrer Tochter betrieben wird. Die beiden sind wahre Spaßvögel. Im Hauptraum steht ein Kawai-Flügel (angesichts der beschränkten Räumlichkeiten fragt man sich, ob es nicht auch ein E-Piano getan hätte), und die Mutter assoziiert Deutschland mit Beethoven, Bach und Brahms. Aber ich schweife ab. Eigentlich handelt es sich hierbei nämlich um einen Nachtrag. Oder um zwei.

Gestern verbrachten wir den Nachmittag, die Nacht und den Vormittag in Kobuchizawa, einem schrägen Nest in den Ausläufern der japanischen Alpen. Grund für unseren Aufenthalt war die Existenz einer whiskyproduzierenden Anlage, der einflussreichen, unter der Flagge der großen Firma Suntory fahrenden, von Wald umgebenen Destille Hakushu.

Kobuchizawa ist etwas höher gelegen und leidet deswegen nicht so unter der drückenden Hitze wie etwa Kyōto. Weil der Tourismus hauptsächlich während der Schulferien brummt, haben bereits im September die meisten Unterkünfte geschlossen. Zwei Stunden lang klappern wir, von freundlichen Japanern erfolglos unterstützt, die Gegend ab, bis wir schließlich einem Hinweis folgen und es – Erinnerungen werden wach – in der Jugendherberge des Ortes versuchen, die dann noch Plätze im Männerschlafsaal frei hat. Japan ist das Land der Superlativen und lässt sich auch bei Preisen für Jugendherbergsübernachtungen nicht lumpen: 38 Euro kostet das Bett pro Nase und Nacht im Dormitory, und selbst beziehen muss man es auch noch (alles wie früher – schön, auf seine Art). Außer uns ist nur noch ein fröhlicher pensionierter Japaner im Zimmer, ein Wandersmann, der durch sein Land tourt.

Nach dem Dinner betreten wir die Lamps Lodge Bar, deren einzige Gäste wir den ganzen Abend sind, und darüber hinaus auch die ersten Deutschen, die jemals ihre Füße über die Schwelle dieses eigentlich in den Süden der USA gehörenden Etablissements gesetzt haben. Es handelt sich nicht um eine Whiskybar, unser Besuch ist aber aus einem anderen Grund bemerkenswert (siehe unten). Der Inhaber und Barmann Tsutomu Kobayashi hat sie – passend zum Ort, in dem nicht wenige  japanische Cowgirls auf der Koppel bei ihren Pferden stehen – als eine Art Country-Bar eingerichtet, mit allem was zum Wilden Westen dazugehört. An den Wänden hängen Cowboyhüte; Banjo, Gitarre und Piano stehen spielbereit herum, die Helden der Country-Music (allerdings auch einige des Jazz und anderer entfernterer Verwandter – Hauptsache US-amerikanisch) zeigen Gesicht. Tsutomu Kobayashi liebt James Taylor, Johnny Cash, James Brown, aber auch Tom Waits hängt an der Wand, und Led Zeppelin erklingt. Die Whisky-Auswahl ist absoluter Standard – hier ist nichts zu entdecken. Interessanter – und kurioser, denn immerhin befinden wir uns in der japanischen Pampa – ist hingegen die Sammlung an Bourbons. Stefan ist in diesem Terrain kein Kenner, und ich sowieso nicht. Was wir aber finden ist eine Reihe alter amerikanischer (teilweise für Japan lizensierter) Flaschen, in einem Retro-Look, der uns die Relativität von Raum und Zeit (und deren seltsames Verhältnis) erneut klar macht. Der Abend wird ein netter. Wir unterhalten uns den ganzen Abend über diese und jene Dinge und verkosten Reliquien einer Vergangenheit, die nie existiert hat.

Tokyo – erster grüner Tee

In Japan anzukommen ist und bleibt unbeschreiblich. Das erste Marsch zur ersten Unterkunft (aktuell ein niedlicher Ryokan im nördlicheren Tokyo), das erste Essen … und begleitend der erste grüne Tee (hier von-selbst-kommend und damit im Gegensatz zum ersten Whisky, der aktiv herbeigeführt werden muss). Und eisgekühlt, also jenseits des hier untersuchten Kontexts stehend. Über allem eine nicht unbeträchtliche Müdigkeit, die mich zur Kürze animiert und auf folgende nicht allzu tolle Fotos verweist. Gute Nacht.

Morgen Moskau, übermorgen Tokyo

Hinter mir nähert sich der Ladestand der letzten Akkus der 100%-Marke und misst auf moderne Weise die Stunden bis zur Abfahrt. Insgesamt, so stelle ich überrascht fest und suche im Badezimmerspiegel nach Indizien einer Cyberidentität, befinden sich fünf Ladegeräte in meinem Gepäck (für Tablet, Smartphone, Ebook Reader, Kamera, Blitz). Dies ist die erste Reise meines Lebens, auf die ich zwei Steckdosenadapter mitnehme und nicht nur einen, und dennoch das Gefühl nicht abschütteln kann, etwas vergessen zu haben. Zum Glück ist Japan nicht gerade ein Entwicklungsland, was zukünftigen Elektroschrott angeht.

Natürlich bin ich eigentlich gar nicht so. Gehe nur mit der Zeit. Will in Japan nicht auffallen, nicht aufgrund meiner armseligen Ausrüstung schon am Flughafen für einen mittelalterlichen Barbaren mit langer Nase gehalten oder von kichernden Schulmädchen in Donald-Duck-Klamotten aus Schlitzaugenwinkeln gemustert und für archaisch befunden werden.

Vorher haben wir einige Stunden Aufenthalt in Moskau (dem Flughafen mit dem schlechtesten Essen der Welt). Da schreibe ich ein paar weitere Zeilen. Gute Nacht.