Japan
Japan, das ist für jene unter uns, zu deren Steckenpferden nicht das virtuelle oder reale Reisen in Ostasien gehört, zunächst ein Spektrum von Klischees: modelliert aus Sushi, Walfang, Hiroshima (und neuerdings Fukushima), Zen-Buddhismus, technologischer Innovation, Samurai, Harakiri, Manga, Tamagochi, Kamikaze, Geisha, Kimono und grünem Tee entsteht ein Bild mit erstaunlich vielen Konturen. Egal ob „richtig“ oder „falsch“ (ganz stimmen Bilder ohnehin nie), die Tatsache dieser Vielfalt allein, die im Gegensatz steht zu den sehr viel verwascheneren Konturen, die die meisten anderen Länder für uns Westler haben, sagt allerhand aus: Japans Charakteristika sind zahlreich und ausgeprägt. Auch wer nie dort war, erkennt „Japanisches“ und kann es mehr oder weniger abgrenzen von „Chinesischem“ oder „Südostasiatischem“. Man vergleiche dies etwa mit den Schwierigkeiten, eine ähnliche Prägnanz in unseren Bildern etwa von der Ukraine (Fußball-EM, Song-Kontest, Menschenrechte, Kiew, …?), Argentinien (Maradona, Steak, Tango, …?) oder Norwegen (Fjorde, Walfang, …?) zu finden.
Japaner und ihr Schaffen assoziieren wir mit klaren Linien, einer ausgewogenen Ästhetik, einer entspannten Schnörkellosigkeit. Was sie tun, bringen sie auf den Punkt. In ihrer Kreativität streben sie danach, das innere Wesen der Dinge auszudrücken, zu betonen, für sich selbst stehen zu lassen. Es braucht nicht geschmückt zu werden, um schön (oder stilvoll, oder lecker) zu sein, die Kunst besteht vielmehr darin, die natürlichen Eigenschaften eines Rohstoffes zu erkennen und das Werk so zu gestalten, dass diese ihre Wirkung möglichst frei entfalten können. Die Küche – von der hauptsächlich Sushi und Sake bei uns bekannt sind – ist ein gutes Beispiel: während etwa in China, Thailand und Indien mit einer Vielzahl von Gewürzen gearbeitet wird, die den (oft absolut großartigen) Gerichten ihren Charakter verleihen, halten sich japanische Köchinnen und Köche gekonnt zurück. Selten werden sich in einem Gericht Geschmäcker gegenseitig überdecken. Gegensätzliche Noten harmonieren eher kontrapunktisch, einander ergänzend, verstärkend, als dass sie miteinander konkurrieren.
Die These, dass diese Klarheit nur die eine Seite einer Medaille sein könnte, spiegelt sich in unserem Bild einer gewissen Zurückhaltung, einer Steifheit, zuweilen auch einer Härte, die manchmal an Skrupellosigkeit grenzt (und diese Grenze dann nonchalant überschreitet). Die Japaner waren unsere Verbündeten im 2. Weltkrieg, und „Nanjing“ steht neben den „koreanischen Trostfrauen“ für Massaker besonderer Art. Eine öffentliche, unfassende Anerkennung der Gräuel, wie sie in Deutschland analog weitgehend stattgefunden hat, gab es nie. Bei aller Kritik, die man hinsichtlich der zahlreichen Mängel in der Aufarbeitung in unserem Lande anbringen kann – im weltweiten Vergleich (man denke an die Türken und die Armenier, die Amerikas und die Indianer) stehen wir gar nicht so schlecht da. Einäugig unter Blinden, vielleicht, aber die humanistischen Werte, die heutzutage in unseren Seelen verankert sind und die wir als Grundlage unserer Werte (und Urteile) ähnlich schlecht wahrnehmen können wie Fische das Wasser, sind weder naturgegeben noch allgemeingültig. In der japanischen Seele setzen sie sich nach und nach durch (spricht man manche moderne Japanerinnen auf die Taten japanischer Soldaten im 2. Weltkrieg an, steigen ihnen Tränen des Mitgefühls und der Scham in die Augen, und es spielt keine Rolle, ob sie dabei ihr Gesicht verlieren oder nicht). Bis allerdings eine auch an Tiere – nicht nur Wale haben nichts zu lachen – heranreichende Empathie ihren Weg in die Herzen des Reiches der aufgehenden Sonne findet, wird nicht nur der Thunfisch ausgerottet sein.
Motivation
Mit dieser kleinen Einleitung sei nun genug moralischer Teppich ausgebreitet für das bereits im Hintergrund lauernde, auf seinen großen Auftritt wartende „Aber“: aber wir lieben Japan trotzdem, fahren trotzdem hin, und wir erforschen und genießen einige ausgesuchte Erzeugnisse dieser eindrucksvollen, einmaligen, hochentwickelten, wundervollen Kultur.
Und zwar Grünen Tee und Whisky. Beide verehren wir, sind Fans und Liebhaber, die mehr erfahren wollen. „Wir“, das sind ein Softwareentwickler und ein Psychologe, zwei Seelen, die schon manches Mal gemeinsam Asien bereist haben. Ersterer trinkt ein bis zwei Liter grünen Tee am Tag und nippt hin und wieder, meist von letzterem angestiftet, an einem Whisky. Diese Vorlage für einen billigen Trinkerwitz wird natürlich nicht verwandelt: umgekehrt gilt das keineswegs. Die geplante Reise – siehe unten – ist kein Vorwand für einen gehobenen Ballermann, auch wenn es sich um hochprozentigen Alkohol handelt, dessen Erforschung neben einem Literaturstudium und Gesprächen mit lokalen Aktivisten durchaus auch Selbstversuche beinhalten muss. Wir machen uns damit selbst zum beobachteten Objekt, und ohne Zweifel wird der Prozess des Beobachtens dieses beeinflussen. Hier begegnen sich Quantenphysik und Whisky-Tastings methodisch.
Grüner Tee versteht sich – aber Whisky?
Hier halten wir einen Moment inne! Japan und Whisky? Waren das nicht eher Schottland und Irland? Vielleicht noch die USA mit ihrem Bourbon? Keineswegs. Was viele noch immer verwundert, die zum ersten Mal damit konfrontiert werden: Japan ist neben den Genannten ein weiteres ernst zu nehmender Whiskyproduzent.
Bisherige Kostproben („Tastings“) legen die Vermutung nahe, dass es sich hier wie mit den anderen Erzeugnissen japanischer Schaffenskraft verhält: die (höherwertigeren) Whiskys sind klar strukturiert, elegant, auf den Punkt gebracht, frei von unnötigem Beiwerk. Unsere Arbeitshypothese ist, dass sich die japanische Kultur vermutlich auch in dieser Arena reproduziert. Diese soll in einem im September stattfindenden, zweiwöchigen Feldversuch bestätigt oder falsifiziert werden. Wir werden, so die Idee, nicht nur Distillerien besuchen, sondern auch Bars, um den japanischen Whisky in seiner natürlichen Umgebung zu studieren. Natürlich mit der gebotenen Zurückhaltung, jener, die wir – vielleicht ein wenig naiv – zunächst auch dem eingeborenen Connoisseur unterstellen. Wir hoffen, mit japanischen Konsumenten Kontakt aufzunehmen und zu erfahren, ob es Gemeinsamkeiten zwischen ihrer und unserer Art des Genießens gibt. Ein Brückenschlag zwischen den so unterschiedlichen Kulturen wäre ein Erfolg, ebenso aber die Erkenntnis, dass der diesbezügliche japanische Impetus keine Überschneidung mit dem unseren aufweist. Wir werden sehen.
Soweit die Motivation des Psychologen (der im Rahmen dieses Blogs noch einige erhellende Worte zum Thema beisteuern wird).
Grüner Tee
Der Softwareentwickler, aus dessen Feder diese Einleitung stammt, hat einen gesellschaftlich und medizinisch weitaus akzeptierteren Ansatz: Grüner Tee, das ist mittlerweile im Repertoire des medizinischen Allgemeinverständnisses angekommen, ist gesund. Nicht nur gesünder als Whisky, sondern auch bekömmlicher als Kaffee und reichhaltiger an wertvollen Bestandteilen als schwarzer Tee. Die Literatur ist umfassend, wenn auch nicht frei von Widersprüchen. Grüner Tee binde freie Radikale, beuge Herz-Kreislaufkrankheiten vor, verringere das Risiko einiger Krebsarten, senke den Blutdruck und so fort. Wer sich dafür interessiert, werfe einen Blick auf die Literaturliste.
Bei dieser Reise geht es, was den grünen Tee betrifft, aber weniger um die medizinischen Aspekte als vielmehr darum, auch diesen, ähnlich wie den Whisky, in einer seiner natürlichen Umgebungen kennen zu lernen. Feine japanische Tees sind eine filigrane Angelegenheit. Sie sind empfindlich, der Geschmack kann durch unsachgemäße Behandlung leicht zerstört werden. Umgekehrt finden sich mit etwas Glück aber vielleicht Teehäuser in Japan, die die Kunst der Zubereitung – ganz wie es ihre Art ist – perfektioniert haben. Wir werden sehen.
Reportagen und Blogs über Besuche in Teehäusern sind Legion (Berichte über Whisky allerdings auch nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal). Den Feinheiten der japanischen Teezeremonie stehen auch Liebhaber wie wir, des Japanischen nicht mächtig und die Kultur nur in wohlmeinenden Ansätzen verstehend, also verunsichert und grün (no pun intended) hinter den Ohren gegenüber. Spätestens hier verliert sich der ohnehin nicht ganz ernst gemeinte wissenschaftliche Ansatz im 涅槃 (sprich Nehan – jap. für Nirvana). Wie viele andere werden wir vermutlich lediglich einige möglichst nur moderat touristische Orte aufsuchen, eine Teezeremonie buchen, einige Fotos machen, die Veranstalter befragen und einige Worte darüber schreiben.
Das angebotene Spektrum an grünen Tees ist vom Umfang her mit dem der Whiskys vergleichbar, aber vollkommen anders gestaffelt. So wird Grüntee mit den Jahren nicht besser. Einige Sorten verlieren, je nach Aufbewahrung, schon nach wenigen Monaten ihr Aroma, nach ungefähr eineinhalb Jahren dürfte kaum noch ein Tee an seine ursprüngliche Qualität erinnern. Es ist, im Gegensatz zum Whisky, nicht ratsam, im Keller ein kleines Vermögen in Form einer Sammlung edler Tees aufzubauen.