Herr Takada und der grüne Tee
Es sind nicht alle Tage wie dieser. Susanne vom Sake-Kontor hat uns mit Herrn Takada zusammengebracht, der in der Präfektur Uji nahe Kyoto seine Firma Chanoka hat, die Tee produziert und exportiert (unter anderem ins KaDeWe in Berlin, Käfer in München, und ein Kontakt mit Alfons Schubeck besteht auch schon). Während Shizuoka die quantitative No. 1-Region für grünen Tee in Japan ist, ist Uji die qualitative (was einem jeder Einwohner von Uji gerne bestätigt). Hier fing alles an, hier sind die Wallfahrtsorte, die Heiligtümer, hier ist der Nabel von Sencha, Matcha und Gyukuro. Hier gibt es das Kanbayashi Teemuseum, das Taiho-An Uji City Municipal Tea Ceremony House, eine kleine Einkaufsmeile mit einem Teegeschäft neben dem nächsten, alten wie neuen, hier atmen die Straßen Tee. Und außerdem ist die Gegend wunderschön.
Der Expresszug benötigt nur 15 Minuten von Kyōto Station, um eine andere Welt zu erreichen. Vor Uji City Station sind wir mit Herrn Takada verabredet. Kurz nach unserer Ankunft am Bahnhof stelle ich den Verlust meines Portemonnaies fest – wer einen kurzen Ausflug ins Reich der Panik unternehmen möchte, klicke bitte hier.
Teestadt Uji
Herr Takada bringt uns als erstes ins besagte Teemuseum, dessen Besitzer er kennt und den er als Präsidenten und wichtigen Mann für die hiesige Kulturgeschichte des Tees vorstellt. Gegenstände aus allen Jahrhunderten und einige alte Fotos erzählen die Geschichte des Getränks, seit es von China herüber gebracht wurde und zunächst nur von Mönchen konsumiert wurde.
Tee-Eis
Die nächste Station leitet er mit den Worten ein, dass Grüntee-Eis in aller Regel nicht schmecke – eine Erfahrung, die ich teile, auch wenn sie nicht mit der Menge des im Kyōtoer Großraum angebotenen Grüntee-Eises korreliert. Mit einer Ausnahme: am Ende der Straße mit den Teegeschäften habe eine Bekannte von ihm (da er ungefähr alle Leute in Uji zu kennen scheint, die schon einmal Tee getrunken haben, ist diese Qualifikation relativ) ein kleines Geschäft, das wirklich gutes Eis verkaufe, das nicht fast ausschließlich nach Nichts schmecke. Der Trick: Matcha-Pulver wird über das Eis gestreut. Einfach und unglaublich wirkungsvoll, und das erste gute Grüntee-Eis meines Lebens (ehrlicher Weise muss man sagen, dass das Eis als solches auch hochwertiger schmeckte als seine Cousinen und Cousins in den Geschäften der Konkurrenz).
Wir schlendern die Teestraße herunter. Herr Takada darf anscheinend überall parken (wahrscheinlich hat der örtliche Polizeichef schon einmal Tee getrunken). Etwas anderes als Teeläden gibt es in dieser Gasse nicht (abgesehen natürlich von Getränkeautomaten), einer neben dem nächsten.“Um vom Handel mit grünem Tee zu leben“. erklärt er, „muss man diverse Produkte verkaufen, nicht nur die Blätter selbst. Die machen nur einen kleinen Teil des Umsatzes aus.“ Und so sind die Läden (wie eigentlich in ganz Japan) voll mit Grünteewaffeln, Grünteereisküchlein mit Bohnenfüllung, Grünteedrinks, Grünteeschokolade, Grünteeglibber, sogar Grünteebaumkuchen (bislang galt Baumkuchen immer als das geniale Geschenk für Japaner – das könnte sich mit der Erfindung des Grünteebaumkuchens umkehren), kurz, was immer sich mit Grüntee kombinieren lässt, wird produziert und verkauft. Ebenso einige Dinge, zu denen grüner Tee eigentlich nicht passt.
Einer der Shops behauptet von sich, über 500 Jahre als zu sein, was Herr Takada auch bestätigt.
Eine kleine Teezeremonie
Unter am Fluss (hier gibt es noch Kormoranfischerei, allerdings nicht mehr kommerziell) bucht uns Herr Takada eine Teezeremonie im Schnelldurchlauf. Sie wird von zwei älteren Damen professionell und mit Humor durchgeführt, und ich darf fotografieren. Die Details kann man überall nachlesen, das Internet ist voll davon.
Teefelder und Energie
Weiter geht es zu einigen Teefeldern, die horizonttechnisch absolut skurril von Hochspannungsleitungen eingerahmt werden. Eigentlich eine wunderschöne Landschaft, in die die Moderne ungebremst Einzug gehalten hat und daran erinnert, dass Landschaftsplanung generell eines der Stiefkinder der Menschheit ist.
Die kleinen Ventilatoren an den Masten dienen dazu, im Winter die Wassertropfen, die sich nach nächtlichem Frost morgens beim Auftauen auf den Teeblättern sammeln und zu Verbrennungen der Teeblätter führen, bei der Verdunstung zu unterstützen.
Das spirituelle Teezentrum
Die nächste Etappe unseres Marathons ist schließlich das Herz der japanischen Teegeschichte (in jedem Fall der der Präfektur Uji). Der Teegott hat hier seinen Schrein, und die großen Getränkeproduzenten Japans haben sich auf den Pfählen des steinernen Zauns verewigt (sie dürfen, weil sie die Anlage finanzieren). Wir halten ein kurzes Shinto-Ritual ab (die Glocke schlagen, um die Götter, die man um etwas bitten möchte, herbeizurrufen, zweimal verbeugen, zweimal klatschen, wieder verbeugen) und machen uns dann auf den Weg ins Büro Herrn Takadas.
Happy Tea Break
Bereits der erste eisgekühlte Sencha, der uns serviert wird, schmeckt köstlich. Das bereitet uns vielleicht ein wenig vor auf die nun folgende Offenbarung.
Herr Takada bereitet seinen Spezialtee (etwas irritierend präsentert als „Happy Tea Break“, siehe Foto) zu. Eine von unten nach oben laufende, schicke, von uns sehr bewunderte, aber „leider“ aus Deutschland stammende Eieruhr misst drei Minuten, in denen seine Mischung in Eiswasser zieht. Verwendet werden 7 g Tee für vier ungefähr fingerhutgroße Portiönchen. „Je kleiner die Tasse, desto besser der Tee“, auch jetzt wieder, was uns ein wenig auf das nun folgende Erlebnis vorbereitet. Da wir nur zu zweit sind, erhalten wir nach den drei Minuten Ziehzeit doppelte Portionen (die aber immer noch fingerhutgroß sind – und es handelt sich um die Finger feingliedriger japanischer Hände).
Behutsam verteilt Herr Takada den fertigen Tee auf zwei Tassen, immer abwechselnd, damit beide identisch schmecken. Die letzten Tropfen werden konzentriert, meditativ beinahe, in die Tassen gebracht und sollen einen Moment der Stille erzeugen. Dann dürfen wir probieren und tun das tröpfchenweise (eine andere Möglichkeit gäbe es angesichts der geringen Menge auch gar nicht). Und erleben einen Augenblick der Transzendenz.
Ein Extrakt unbeschreiblicher, grüner Intensität, man fühlt die Essenz der Pflanze. Überirdisch. Die getrunkene Menge hätte keine Pipette gefüllt. Ganz nebenbei baut sich hier eine Brücke zu der Whiskyerfahrung auf: auch dort steckt in einem Tropfen eine enorme Kraft, während ein großer Schluck lediglich Unverständnis hervorrufen würde. Wir sind also begeistert. Auch der zweite Aufguss – ebenfalls mit Eiswasser – ist noch wundervoll.Der dritte wird mit 60 Grad heißem Wasser gemacht und ergibt einen ebenfalls leckeren, aber in bekannteren Gefilden angesiedelten Sud. Ein bis zwei weitere Aufgüsse mit kochendem Wasser dienen dann nur noch dazu, die Bitterstoffe zu entfernen, weil die Teeblätter am Ende mit einem Tropfen Sojasauce serviert werden. Sie schmecken nicht schlecht und sehen auf schönem Geschirr vor allem toll aus (wie Bonsaispinat).
Diese kleine Zeremonie vollzieht Herr Takada in aller Herren Ländern, wenn er mit seiner mobilen Zeremoniebox unterwegs ist (diese Boxen ersteht er auf Trödelmärkten). Kunden finde er per Mundpropaganda, und das laufe ganz gut. Einige weitere Tees – auch Produkte, deren Vermarktung er plant und zu denen wir unsere Meinung sagen – trinken wir noch, dann ruft Frau Takada zum Essen mit der Familie, das ganz nebenbei das wahrscheinlich leckerste unserer Reise ist. Nachgewürzt wird unter anderem mit Teesalz.
Die Tee-Strategie
„In Japan“, so Herr Takada, „wird von den jungen Menschen immer weniger Tee konsumiert. Er ist nicht cool.“ Die Ausnahme seien die Plastikflaschen aus den Automaten mit eiskaltem Grüntee, ein Ausdruck neuer Kulturlosigkeit (leider haben wir sie immer sehr gerne getrunken: ein ungesüßtes, angenehmes Getränk bei 35 Grad im Schatten). Ich paraphrasiere: „Wenn im Westen mehr grüner Tee getrunken würde, könnte das auf Japan zurückwirken. Das ist meine Idee. USA und Europa sind noch immer Messlatten für Coolness in vielen Bereichen.“
Wie realistisch das ist können wir schwerlich einschätzen. Das Vorhaben erinnert aber an die Ansicht einiger Kulturexperten, dass „der Dharma aus dem Westen wieder in den Osten wandert“, dass also die während Kulturrevolution und Modernisierung besonders bei der Jugend unpopulärer gewordenen asiatischen Religionen (Buddhismus, Taoismus) wieder einen Aufschwung erfahren haben, weil sie durch ihre Popularität im Westen sozusagen „abgesegnet“ worden seien.
Geschenke
Die ungefähr siebenstündige Begegnung endet mit Geschenken. Japan ist das Land der Geschenke. Pauschal haben wir eine Kollektion edler, schön verpackter Schokolade mitgebracht, die wir jeweils als kleines Dankeschön für die uns zuteil gewordene unglaubliche Gastfreundschaft überreichen. Was wie so oft blass ausfällt im Vergleich zu dem was wir erhalten. Neben der Zeit, dem wunderbaren Dinner, dem vielen Tee und den guten Gesprächen bekommen wir, als wäre das nicht schon überreichlich, noch ein Zubereitungs- und Servierset samt Teepaket, damit wir mit unseren Freunden in Berlin die faszinierendste Teeerfahrung dieser Reise noch einmal teilen können. Domo arigato gozaimasu, Takada-San.