Um nach Chichibu zu gelangen, müssen wir das Reich von Japan Railways verlassen. Darüber herrscht zunächst wenig Freude, hat uns doch JR immer komfortable und mit gutem Service zu allen gewünschten Orten gebracht. Gefühlt sogar kostenlos, da der 14-tägige Freifahrtschein (Japan Railpass) bereits zuhause bezahlt wurde. Nun geht es also weiter mit der „Chichibu Line“. Langsam schaukeln wir in einem etwas klapprigen Wagon durch die japanische Provinz und erwischen den richtigen Moment zum Aussteigen. Hier gibt es keine englisch angeschlagenen Ortsnamen mehr. Olaf beherrscht zwar lässig 5-7 Schriftzeichen – „Chichibu“ lässt sich damit aber leider nicht bilden. Dann geht es weiter wie immer: Hotel gesucht – Hotel gefunden.
Japan überrascht uns seit Beginn der Reise, zu den Merkwürdigkeiten gehört auch, dass es keineswegs selbstverständlich ist, einen Internetzugang zu finden. Hier auch nicht. Olaf wird daher Mitglied im örtlichen Freizeitclub und darf nach entsprechenden Formularen und Aufnahmegebühr in einem stickigen Kabuff das Internet benutzen. Ich warte davor und höre immer wieder ein verzweifeltes „f …“ aus der Kabine. Die Tastatur ist etwas launisch und springt gerne aus eigenem Antrieb in die Landessprache. Das bisher Geschriebene wird dann gleich irreversibel und komplett ins Japanische übersetzt. Eigentlich ja ganz praktisch – aber eben nicht immer.
Am nächsten Morgen hilft uns der freundliche Rezeptionist im Hotel weiter. Zunächst mit 2 Flaschen Wasser und kleinen Handtüchern, nachdem – trotz der frühen Stunde – bereits erste Schweißflecken auf meinem T-Shirt sichtbar wurden. Japan im September ist noch ganz schön heiß. Ein Anruf des Hotels in der Destille kündigt unser Kommen an, ein Taxi erledigt den Transport. Hier fahren keine Busse mehr.
Die folgende Stunde gehört dann zweifellos zu den Höhepunkten im Leben eines Whiskyfreaks. Die Destille ist klein und existiert erst seit 2008. Mr. Ichiro Akuto (Gründer und Präsident) empfängt uns persönlich. Er ist der Enkel des Gründers der berühmten Hanyu Destille, die aufgrund von Übernahmen leider 2000 schließen mußte. Genauso wie 2011 Karzuiawa. Zwei echte Dramen in einer Welt voller anderer Dramen. Zum Glück besitzt Mr. Ichiro noch eine ganze Menge Fässer aus der Produktion seines Großvaters, die so nach und nach auf den Markt gerollt werden. Das war wohl das Startkapital für die neue Destille. Diese dürfen wir nun unter Anleitung von Mr. Ichiro besichtigen und steigen über Kabel, Leitungen und Treppen, schauen in dampfende und übelriechende Bottiche. Es ist heiß hier, uns dreien läuft der Schweiß, immer wieder kommen die gerade erst geschenkten Handtücher zum Einsatz. Der lange Weg durch die Lagerhalle bringt Abkühlung und begeistert durch seine „Aura des Authentischen“ – die wir als moderne Westler ja so lieben. Zum Schluss ein kleines Tasting. Mr. Ichiro drückt uns ein Tablett mit 8 Leeren Gläsern in die Hand, deutet auf seine gut bestückte Probiertheke und sagt, wir sollen uns selbst bedienen. Wir entscheiden uns für 4 fantastische Produkte aus dem eigenen Haus und … sind begeistert! Das Probierte ist – wie kann es anders sein – erst 3 bis 4 Jahre alt, und schon so rund und Facettenreich, dass einen der Gedanke an einen 30 oder 40- jährigen Ichiro’s Malt fast um den Verstand bringt.
Wir sind mindestens 3-fach fasziniert; von der kleinen Destille, dem Whisky und dem freundlichen, sympathischen und großzügigen Wesen des Besitzers. Mit einem verzückten Dauergrinsen besteigen wir nach einer guten Stunde das herbeigerufene Taxi und werden auch den Abschied nicht vergessen – Mr. Ichiro bleibt im Hof seiner Anlage stehen, winkt uns mit beidem Armen zum Abschied hinterher und hört einfach nicht auf, bis wir nach einer gefühlten Ewigkeit letztlich außer Sichtweite geraten. Das war herzlich. Thank you Mr. Ichiro.